Ein Birding-Tag in der bulgarischen Dobrudscha am 5. August 2007

Für den Sommer 2007 planten wir unseren Familienurlaub in Bulgarien. Einen Tag dieses Urlaubs durfte ich mir für intensives Birding reservieren, und so bat ich Pavel Simeonow von Branta-Tours um eine Führung durch die bulgarische Dobrudscha. Pavel sagte sofort zu. Jeder erfahrene Vogelkundler weiß, wie mühsam dieses Hobby im August sein kann. Noch dazu waren mit dem Feldrohrsänger und der Nonnensteinschmätzer zwei Kleinvögel an der Spitze meiner Wunschliste.
Pavels Service ist perfekt. Er holt mich am Vortag vom Hotel ab und bringt mich zum neu eröffneten Informationszentrum von Branta Tours in Durankulak. Dort verbringe ich den Abend gemeinsam mit Pavels Familie, einigen seiner Freunde und Verwandten, die gerade auf Besuch sind, sowie ein paar anderen Gästen. Wie in einer erweiterten Großfamilie um einen Tisch sitzend, lerne ich nicht nur, dass man den dargebotenen Fisch mit den Händen isst, sondern auch, dass man in Bulgarien das Essen mit einem guten Schnaps beginnt. Es bleibt nicht nur bei dem einen Gläschen, und die Nacht wird sehr lang, oder sehr kurz, je nachdem, wie man es sehen will.
Am nächsten Morgen stehen wir trotzdem sehr früh auf, um eine Chance auf die Kleinvögel zu wahren. Jetzt bemerke ich die landschaftliche Schönheit der Umgebung des Infozentrums. Man hat einen herrlichen Blick auf die Wasser- und Schilfflächen des Durankulak-Sees. Jenseits des Sees ist das schwarze Meer zu erkennen. In Jahreszeiten, in denen sich viele Wasservögel auf dem See aufhalten, kann man ohne weiteres von der Terrasse des Zentrums aus beobachten.
Wir fahren nach einem Kurzfrühstück auf die Nordostseite des Durankulak-Sees. Dort gibt es zwischen dem See und der Küste des Schwarzen Meeres ein gutes Vorkommen des Feldrohrsängers (Acrocephalus agricola). Diese Art ist wenig scheu und im Mai recht leicht zu beobachten. Aber im August … ? Das Wetter ist angenehm kühl und daher förderlich für gute Vogelbeobachtungen. Anfangs fesselt eine riesige Kormorankolonie am Rande des Schilfgürtels unsere Aufmerksamkeit. Mehr als 500 Tiere sitzen auf kahlen Bäumen. Die Rufe im Schilf gehören bettelnden Drosselrohrsängern (Acrocephalus arundinacea). Laut Pavels Information ist der Ruf des Feldrohrsängers ähnlich dem der Bachstelze (Motacilla alba). Vorerst finden wir aber wirklich nur Bachstelzen, auch einige Maskenschafstelzen (Motacilla flava feldegg). An Rohrsänger erinnernde Kleinvögel verschwinden aber nur allzu schnell in der Vegetation. Der erste Rohrsänger, der sich lange genug frei sitzend aufhält, sodass er gut betrachtet werden kann, ist ein Schilfrohrsänger (Acrocephalus schoenobaenus). Schließlich lässt sich auch der erste Feldrohrsänger (Acrocephalus agricola) nicht mehr länger bitten. Es ist ein juveniler Tier. Überaugenstreif und die helle Unterseite sind zu erkennen, aber nicht sehr deutlich, und ich bin froh, Pavel als Helfer bei der Bestimmung bei mir zu haben. Erst nach einigen weiteren Jungvögeln zeigt sich endlich auch ein Altvogel mit all seinen eindeutigen Bestimmungsmerkmalen. Wir bleiben noch einige Zeit im Gebiet. Mit Moorente (Aythya nyroca) und Zwergscharbe (Phalacrocorax pygmeus) zeigen sich zwei bedrohte Arten, junge Rohrschwirle (Locustella luscinioides) betteln, und unter den vielen Haussperlingen (Passer domesticus) entdecken wir etliche Weidensperlinge (Passer hispaniolensis). Die riesigen Starenschwärme (Sturnus vulgaris) bestehen fast ausschließlich aus Jungvögeln.
Auf unserem Rückweg zum Auto erzählt Pavel, dass an dieser Stelle ein Paar Nonnensteinschmätzer (Oenanthe pleschanka) gebrütet hätte. Ich sitze schon im Auto, als ein Steinschmätzer auffliegt. Wir steigen nochmals aus und erkennen ein schwer zu bestimmendes Jungtier. Dank Pavels Erfahrung kann es als juveniler Nonnensteinschmätzer bestimmt werden. Es bleibt nicht die einzige Beobachtung dieser Art an diesem Tag. Auf der weiteren Fahrt nach Süden in Richtung Kap Kaliakra entdecken wir insgesamt mehr als 10 Exemplare, darunter auch etliche adulte Männchen, allerdings keines mehr im reinen Brutkleid.
Nach einem zweiten, diesmal ausgiebigen Frühstück geht es weiter nach Shabla. Da es fünf Wochen vorher in dieser Gegend nicht geregnet hat, sind viele Flachwasserstellen ausgetrocknet. Auf der verbliebenen Wasserfläche des Shabla-Sees befindet sich trotzdem nur eine Höckerschwanfamilie (Cygnus olor) mit einem Jungtier. Dafür ist das angrenzende Steppengebiet umso interessanter. Blauracken (Coraccias graculus), Bienenfresser (Merops apiaster) und Wiedehopfe (Upupa epops) sitzen in unmittelbarer Nachbarschaft (wie im Bestimmungsbuch). Ein Ziesel (Citellus sp.) mit einem Maul voller trockener Grashalme lässt auf Steinschmätzer (Oenanthe sp.) hoffen, die in verlassenen Zieselhöhlen gerne brüten. Es dauert auch nicht lange, und wir entdecken neben dem „normalen“ Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe) juvenile und adulte Isabellsteinschmätzer (Oenanthe isabellina). Auf dem Shabla-Salzsee sollen nur mehr einige Flachwasserreste vorhanden sein, schlecht für Enten, aber gut für Limikolen. Das lässt die Hoffnung auf einen vielleicht durchziehenden Sumpfläufer (Limicola falcinellus) aufkommen. Am Salzsee angekommen entdecken wir außer etlichen Menschen, die dort den angeblich heilenden Schlamm einsammeln, eine schöne Ansammlung verschiedener Watvögel. Die großen Uferschnepfen (Limosa limosa), Stelzenläufer (Himantopus himantopus) und Säbelschnäbler (Recurvirostra avosetta) fallen als erstes auf. Ein paar Teichwasserläufer (Tringa stagnatilis) sind für mich Mitteleuropäer aufregender als für meinen einheimischen Begleiter. Es dauert nicht lange, und Pavel entdeckt mit seinem Rohr unter den vielen Alpenstrandläufern (Calidris alpina) und Zwergstrandläufern (Caldirs minuta) einen Sumpfläufer (Limicola falcinellus). Er ist sehr weit weg und nur aufgrund seiner eigentümlichen Form zu bestimmen. Wir versuchen unser Glück daher auf der anderen Seite des Sees.
Dort angekommen überraschen wir (oder sie uns) zwei weibchenfarbige Zitronenstelzen (Motacilla citreola). Da ruft Pavel spontan: „Das ist ja wie im Mai!“ An der neuen Stelle kommen wir gut im Schilf versteckt nahe an die Wasserlinie heran und sind erfreut, dass die anwesenden Vögel so vertraut sind. So verlassen wir bald unsere Deckung und Pavel kommt zu hervorragenden Fotomöglichkeiten. Drei Temminckstrandläufer (Calidris temminckii) laufen zwischen den vielen Bruchwasserläufern (Tringa glareola) und einigen Rotschenkeln (Tringa totanus), und es dauert nicht lange, da taucht auch in nächster Nähe ein Sumpfläufer (Limicola falcinellus) auf. Pavel kommt zu großartigen Fotos, auf denen auch die charakteristisch gegabelten Überaugenstreifen dieser Art bestens zu sehen sind. Plötzlich findet sich auch ein Odinshühnchen (Phalaropus lobatus) im Ruhekleid ein und liefert ebenfalls Format füllende Fotomotive. Während Pavel weiter fotografiert, mustere ich die Seeschwalben. Unter den zahlreichen Flussseeschwalben (Sterna hirundo) sitzen auch einige größere Tiere, die sich als Brandseeschwalben (Sterna sandvicensis) entpuppen, durchwegs adulte Tiere. Die Möwen sind fast ausschließlich Lachmöwen (Larus ridibundus), aber auch einige alte und junge Zwergmöwen (Larus minutus) schwimmen im flachen Wasser. Kurz statten eine adulte und eine juvenile Dünnschnabelmöwe (Larus genei) einen Besuch ab, ebenso zwei Brachvögel (Numenius arquata). Gut versteckt, aber doch immer wieder kurz sichtbar, sucht ein eigenartig heller Vogel im Schilf nach Nahrung. Erst nach geduldiger Beobachtung stellt sich heraus, dass es sich um eine Bartmeise (Panurus biarmicus) ohne Bart handelt. Ein Trupp junger Beutelmeisen (Remiz pendulinus) benimmt sich dankenswerterweise viel auffälliger. Drei Kiebitzregenpfeifer (Pluvialis squatarola) sind noch teilweise im Brutkleid, die vielen Flussregenpfeifer (Charadrius dubius) längst alle im Schlicht- bzw. im Jugendkleid. Ein einzelner Seeregenpfeifer (Charadrius alexandrinus) befindet sich darunter.
Es ist schon mittlerer Nachmittag, als wir aufbrechen und nach einem verspäteten Mittagessen weiter nach Süden fahren. Immer wieder lassen uns rastende Möwentrupps auf Fotodistanz herankommen. Sie bestehen hauptsächlich Mittelmeermöwen (Larus michahellis) und Schwarzkopfmöwen (Larus melanocephalus) in allen Alterskleidern. Ein Greifvogel entpuppt sich als Schreiadler (Aquila pomarina), der von vier Brachschwalben (Pratincola glareola) angegriffen wird. Ein juveniler Wanderfalke (Falco peregrinus) mit Beute muss sich von zwei Baumfalken (Falco subbuteo) belästigen lassen.
Die Steppengebiete vor Kap Kaliakra bescheren uns neben weiteren Steinschmätzern unter anderem Kalanderlerchen (Melanocorypha calandra) und Brachpieper (Anthus campestris). Vor der Steilküste fliegen Krähenscharben (Phalacrocorax aristotelis). Die Suche nach Kurzzehenlerchen (Calandrella brachydactyla) und Triel (Burhinus oedicnemus) gerät auf Grund unserer immer stärkeren Müdigkeit schon oberflächlich und ist daher nicht erfolgreich. Im Boltata-Tal werden wir noch einmal in Aufregnung versetzt, als zwei juvenile Uhus (Bubo bubo) ein paar naive Flugversuche wagen, sich aber dann doch wieder in eine Halbhöhle, wahrscheinlich die Bruthöhe, zurückziehen.
In Albena trinken wir auf der Hotelterasse Kaffee. Es ist schon Abend, und wir hätten sicherlich in den herrlichen Auwäldern dieses Ortes die eine oder andere Wald bewohnende Art entdeckt. Wir trinken aber - glücklich, müde und zufrieden - lieber noch eine Tasse Kaffee. Ich zähle die notierten Arten, und wir beide sind mehr als überrascht. Etwas mehr als 100 sind es geworden. Nicht schlecht für einen Augusttag …

Hubert Krieger, Austria
hu.krieger@eduhi.at

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